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Laut und deutlich

29. Oktober 2020

Wie bitte?

„Bitte laut und deutlich sprechen.“

Dieses Schild sah ich zum ersten Mal an einer Tankstelle, seit Corona da ist.

Wow, endlich sagt hier das mal jemand.

Die Maskenpflicht, darüber will ich gar nicht diskutieren. Ich trage sie und mein Kind zählt zu den Risikopatienten, sodass ich sie auch gern trage. Tatsächlich jedoch trage ich sie sehr wenig – nur zum Einkaufen.

Denn sonst bin ich eher selten unter Menschen.

Der Gottesdienst findet statt, aber da gehe ich fast nur hin, wenn ich selbst Dienst habe.
An der Theke kaufe ich nur ein, wenn es nicht anders geht.
Bus und Bahn nutze ich nicht.
In größeren Menschenmassen vermeide ich den Blickkontakt.

Warum?
Weil ich zu der Gruppe Menschen gehöre, die Hörgeräte trägt.
Ich bin immer super mit den Geräten klargekommen und trage sie seit meinem 5. Lebensjahr. An der Sprache kann man – Gott sei Dank – nicht heraushören, dass ich dringend auf diese Geräte angewiesen bin. Meine Eltern waren einfach mega hinterher, dass ich Selbstbewusstsein entwickle und sogar mein Abitur machen konnte. Danke Mama & Papa!

Ich bin so dankbar für diese Geräte und für das Erlernen des Lippenlesens. Kommunikation ist für mich nie einfach gewesen.
Gruppen, große Räume, starke Nebengeräusche fordern von mir immer wieder den Mut, drei Mal nachzufragen, was der Gegenüber gesagt hat.

Die Maske.
Sie bringt mich dazu, mich noch weiter zurückziehen und im Öffentlichen weniger zu kommunizieren. Ich will, aber ich kann nicht.
Diese Behinderung kann ich nur ausgleichen, wenn ich Mimik, Gestik und Lippen erkennen kann.

Ich bin so dankbar für die krasse Weiterentwicklung der Hörgeräte in den letzten Jahren, sodass ich nach 20 Jahren das erste Mal Freude am Telefonieren habe, doch ich höre immer noch wesentlich schlechter als ein gesunder Mensch.

„Bitte laut und deutlich sprechen.“ Das ist doch gar nicht so schwierig. Und wenn wir das tun, dann kriechen wir Schwerhörigen vielleicht wieder aus unseren Löchern. Kinder, Jugendliche und vor allem Ältere.

Eine Frau aus der Gemeinde sagte mir mal: „Ronja, mit dir rede ich einfach sooooo gerne.“ Ich versuchte mich an den Inhalt unseres letzten Gespräches zu erinnern, doch sie meinte: „Du redest einfach so klar, laut und deutlich.“

Wenn Schwächen sichtbar werden, wenn ich durch meine Schwäche falle oder es mir einfach unangenehm wird, 5 mal nachzufragen und ich dafür böse, unverständliche Blicke empfange, dann ziehe auch ich mich zurück, obwohl ich normalerweise darüberstehen kann. Doch jedes Auslachen, jeder belächelnde Blick, jedes Abwenden macht etwas mit meinem Herzen.

Einfach etwas deutlicher reden. Viele Menschen werden dir dankbar sein.

Jedes Mal, wenn ich jemanden hinter der Maske direkt beim ersten Mal verstanden habe, ist mein Tag gleich schon ein bisschen schöner.

Auch das ist Nächstenliebe.
Lasst uns aufeinander achten und die Liebe laut und deutlich werden lassen.

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